33

 

Der Flug nach Berlin war lang und beanspruchte all ihre Kraft.

Elise nahm jede lange Minute, jede Stunde, wie sie kam, entschlossen, dass sie stärker war als die Fähigkeit, der sie so lange ausgeliefert gewesen war. Dass sie das Schlimmste inzwischen abwenden konnte, hatte sie Tegan zu verdanken - nicht nur, weil er ihr gezeigt hatte, wie sie ihre übersinnliche Gabe in den Griff bekommen konnte, sondern wegen ihrer Liebe zu ihm, die sie antrieb. Selbst als die altbekannte, tückische Migräne schon nach einer knappen Flugstunde begann, sich in ihre Schläfen zu bohren.

Elise hielt durch, weil sie es musste. Weil es gut möglich war, dass Tegans Leben jetzt von ihr abhing.

Gott, sie konnte jetzt nicht versagen.

Sie konnte alles ertragen, außer ihn zu verlieren.

Sobald das Fahrwerk an diesem Abend auf der Landebahn aufsetzte, verdoppelte sich Elises Entschlossenheit, Tegan zu finden und sicher nach Hause zu bringen, sogar noch. Sie rannte im Laufschritt aus der Abfertigungshalle. Draußen wartete Lucan in einem von Reichens Autos auf sie.

„Dir ist klar, dass Tegan mich dafür umbringen wird, dich da hineingezogen zu haben. Falls wir ihn wirklich finden“, sagte Lucan, als sie sich dem Wagen näherte. Sein Tonfall klang scherzhaft, aber ihr entging nicht, dass in seinen grauen Augen keinerlei Belustigung lag.

„Nicht falls wir ihn finden, Lucan. Wenn wir ihn gefunden haben. Hier gibt es kein falls.“

Sie warf ihre kleine Reisetasche hinten ins Auto und kletterte auf den Beifahrersitz. „Fahren wir. Ich will mich heute Nacht nicht ausruhen, ehe wir jede einzelne Straße dieser Stadt durchsucht haben.“

 

Dante, Reichen und der Rest des Ordens hielten die beiden Geländewagen am Rand einer mondbeschienenen, waldumsäumten Straße im Umland von Prag an. Hier draußen war der Wald dicht, nur ein paar winzige Lichter von fernen Häusern glänzten in der Dunkelheit. Sie stiegen aus, sieben Stammesvampire in schwarzen Tarnanzügen und bis an die Zähne bewaffnet mit Maschinengewehren, Tausenden von Titangeschossen und einer schönen Kiste voller C-4-Sprengstoff.

Jeder Krieger trug auch ein Breitschwert in einer Scheide auf den Rücken geschnallt - eine unkonventionelle Waffe für moderne Kriegsführung, aber wenn man es mit etwas so Bösartigen und Mächtigen zu tun hatte wie der Kreatur, die sie aus ihrem Winterschlaf erwecken wollten, absolut unerläßliche Ausrüstung.

„Hier muss es sein.“ Dante zeigte auf die zerklüftete Silhouette des Bergrückens, der vor ihnen lag. „Der Umriss ist genau der gleiche wie auf Kassias Gobelin.“

„Wahrscheinlich wird es ein paar Stunden dauern, um da raufzukommen“, warf Niko ein. Seine Wangengrübchen vertieften sich von seinem begierigen Grinsen, das weiße Glänzen seiner Zähne stand hell gegen die nächtliche Dunkelheit. „Worauf warten wir? Gehen wir und holen uns den alten Drecksack.“

Mit einer starken Hand hielt Dante ihn zurück, runzelte über das Ungestüm des jungen Kriegers die Stirn. „Wartet! Das ist kein Spiel, verdammt noch mal. Es ist anders als jede Mission, die wir bisher durchgeführt haben. Dieses Ding, das da oben in den Berg eingeschlossen wurde, ist kein Vampir, wie ihr ihn kennt. Nehmt Lucan und Tegan zusammen - Scheiße, nehmt auch noch Marek dazu - und ihr habt immer noch keinen Begriff davon, zu was diese Kreatur fähig ist. Er ist Gen-Eins hoch hundert.“

„Aber sein Kopf kann vom Körper abgetrennt werden, wie bei jedem von uns“, bemerkte Rio mit einer tiefen, tödlichen Stimme. „Die schnellste Art, einen Vampir zu töten.“

Dante nickte. „Und dafür werden wir nur eine einzige Möglichkeit haben, mehr nicht. Wenn wir diese Gruft finden und hineinkommen, ist unsere erste Priorität, dem Bastard neunzig Zentimeter rasiermesserscharfen Stahl in den Hals zu jagen.“

„Und zwar, bevor das Ding eine Chance hat, aufzustehen“, fügte Chase hinzu. „Wenn wir zulassen, dass es aufsteht, bevor wir in Stellung sind, um es zu töten, stehen die Chancen gut, dass wir da nicht lebend wieder rauskommen.“

„Erinnert mich doch noch mal dran, warum ich nicht Buchhalter werden wollte, als ich klein war“, meinte Brock gedehnt.

Niko kicherte leise. „Weil Buchhalter keine Sachen in die Luft sprengen dürfen.“

„Blutsauger einäschern dürfen sie auch eher selten“, fiel Kade in den Spaß ein.

Brocks breites Grinsen leuchtete weiß im Dunkeln. „Oh, okay.

Jetzt weiß ich’s wieder.“

Dante ließ ihnen Zeit, sich an den Plan zu gewöhnen. Die jüngeren Männer reagierten ihre nervöse Energie mit Späßen und markigen Sprüchen ab. Aber als sich das Team an den Aufstieg über den bewaldeten Berghang machte, verfielen nach und nach alle in ernstes Schweigen. Keiner von ihnen wusste, was sie am Ende dieser Reise erwartete, aber alle waren bereit, sich dem gemeinsam zu stellen.

 

Elise wusste nicht genau, wie lange sie schon unterwegs waren.

Es mussten Stunden sein. Sie waren durch jeden Stadtbezirk gefahren, die wohlhabenden und die desolaten, und hatten in regelmäßigen Abständen kurz Halt gemacht, damit sie in die dunklen Straßen und Gassen hineinhorchen konnte. Darauf warten konnte, ob ihre Venen von der Gewissheit, der inbrünstigen Hoffnung zu prickeln begannen, dass Tegan hier irgendwo in der Nähe war.

Sie wollte nicht aufgeben.

Nicht einmal, als die Nacht begann, der Morgendämmerung zu weichen.

„Wir können noch mal eine Runde durch die Stadt machen“, sagte Lucan. Der Gen-Eins-Krieger war genauso wenig geneigt, Tegan aufzugeben, wie sie es war. Selbst angesichts der Tatsache, dass das heraufziehende Tageslicht eine genauso große Gefahr für ihn darstellte wie jeder andere tödliche Feind.

Elise streckte die Hand aus und berührte die riesige Hand am Lenkrad, die den Wagen auf eine weitere Straße lenkte. „Danke, Lucan.“

Er nickte. „Du liebst ihn sehr, nicht?“

„Ja. Das tue ich. Er … bedeutet mir alles.“

„Dann sollten wir ihn besser nicht verlieren, was?“

Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „Nein, das sollten wir besser nicht … Oh mein Gott … Lucan. Langsam. Halt den Wagen an!“

Sofort trat er auf die Bremse und fuhr rechts ran, sie befanden sich gerade in einem baumbestandenen, eleganten Wohngebiet. Als der Wagen zum Stehen kam, ließ Elise das Beifahrerfenster herunter. Eine kalte Februarbrise drang herein.

„Da drüben“, sagte sie. In ihren Venen prickelte es.

Während Lucan weiterfuhr, konzentrierte sie sich ganz auf das Gefühl, sog es in sich hinein, versuchte, seine Quelle zu erraten. Es war Tegan, ganz ohne Zweifel. Und die Hitze, die in ihrem Blutstrom aufzischte, war keine angenehme Wärme, sondern brannte wie Säure.

Es war das sengende Brennen von Schmerz.

„Oh Gott. Lucan, er wird irgendwo in dieser Straße gefangen gehalten - ich bin mir ganz sicher. Und er hat Schmerzen. Er hat … große Schmerzen.“ Sie schloss die Augen und fühlte es jetzt umso deutlicher, jetzt, da der Wagen in eine hübsche Einfahrt einbog. „Beeil dich, Lucan. Er wird gefoltert.“

Bei dem Gedanken, dass Tegan misshandelt wurde, und der quälenden Angst um ihn, die durch jede Zelle ihres Körpers raste, wurde ihr fast schlecht. Aber sie hatte sich im Griff, suchte nach Zeichen, dass sie sich ihrem Ziel näherten. Der weiß glühende Schmerz, der sie durchzuckte, als sie vor einer eleganten alten Villa stehen blieben, sagte ihr, dass sie ihn gefunden hatten.

Das Haus stand zurückgesetzt von der Straße, ruhig, sehr gepflegt. Offenbar wurde es bewohnt. In der frei stehenden Garage, die früher wohl ein Schuppen für Kutschen gewesen war, stand ein weißer Audi. Im Vogelhäuschen, das an einem Kiefernast über dem Hof hing, war frisches Vogelfutter ausgestreut.

Auf dem verschneiten Weg zum Haus lag ein Kinderschlitten.

„Hier ist es“, sagte sie zu Lucan. „Er ist hier in diesem Haus.“

Lucan runzelte die Stirn, als er dieselben Einzelheiten registrierte, die auch ihr aufgefallen waren, aber er schaltete die Autoscheinwerfer aus und stellte den Motor ab. „Bist du sicher?“

„Ja. Tegan wird dort im Haus gefangen gehalten.“

Sie sah zu, wie sich Lucan bewaffnete. Er trug schon ein ganzes Waffenarsenal - zwei riesige Handfeuerwaffen und ein Paar Dolche, die in Scheiden steckten -, aber er griff nach einem Ledersack hinter dem Fahrersitz und öffnete den Reißverschluss, um noch mehr an sich zu nehmen.

Er sah zu ihr auf und murmelte einen saftigen Fluch. „Ich bin mir nicht sicher, ob es klug ist, wenn du hier draußen wartest.“

„Das ist in Ordnung“, sagte sie, „das habe ich auch nicht vor.

Ich kann dir helfen, ihn zu finden, sobald wir drin sind.“

„Nichts da, Elise. Verdammt noch mal, das ist viel zu gefährlich. Ich kann dich da nicht mit hineinnehmen. Kommt gar nicht in Frage.“ Er knallte ein Magazin in eine seiner Pistolen und schob sie ins Halfter. Dann zog er ein weiteres Messer und eine zusammengerollte Drahtschlinge aus dem Ledersack und stopfte beides in eine Jackentasche. „Sobald ich aufs Haus zugehe, will ich, dass du auf den Fahrersitz rutschst und losfährst.

Fahr zum …“

„Lucan.“ Fest begegnete Elise dem Blick seiner ernsten grauen Augen. „Vor vier Monaten dachte ich, mein Leben sei zu Ende. Marek und die Rogues, die ihm dienen, haben mir das Herz aus dem Leib gerissen. Jetzt bin ich durch ein Wunder des Schicksals wieder glücklich. Ich habe nicht einmal davon zu träumen gewagt, jemals wieder glücklich sein zu können. Nie habe ich diese Art von Liebe gekannt, wie ich sie jetzt für Tegan empfinde. Wenn du also denkst, dass ich hier draußen sitzen bleibe und warte oder davonrenne, während ich doch weiß, dass er in Schwierigkeiten ist - nun, tut mir leid, aber das kannst du vergessen.“

„Wenn mein Bruder derjenige ist, der ihn gefangen genommen hat - und seien wir uns verdammt noch mal darüber im Klaren, dass es Marek sein muss -, dann können wir nicht wissen, was uns da drin erwartet. Oder wer am Ende herauskommt, wenn sich der Staub schließlich legt. Tegan könnte schon verloren sein.“

„Ich muss es wissen, Lucan. Ich würde lieber sterben, um ihm zu helfen, als dabeizustehen oder fortzugehen.“

Ein langsames Grinsen breitete sich im Gesicht des furchterregenden Anführers des Ordens aus. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein verdammt störrisches Frauenzimmer bist?“

„Tegan hat so etwas erwähnt, ein oder zwei Mal“, gab sie trocken zurück.

„Dann wird er wohl einsehen müssen, dass ich keine Chance hatte, wenn er dich mit mir zusammen sieht.“ Er reichte ihr einen Dolch, dessen Scheide an einem Ledergürtel befestigt war.

Elise legte sich den Gürtel um die Hüften und zog die Schnalle fest. „Ich bin so weit, wenn du es bist, Lucan.“

„Okay“, sagte er und schüttelte den Kopf als Zeichen seiner Niederlage. „Lass uns gehen und uns unseren Jungen zurückholen.“

Sie stiegen aus dem Wagen und gingen mit schnellen, vorsichtigen Schritten auf die menschliche Behausung zu. Als sie näher herankamen, traf Elise nicht nur der Schmerz, den Tegan zu leiden hatte, sondern auch die wachsende Gewissheit, dass Lakaien auf dem Grundstück waren. Ihr Kopf füllte sich mit einem Konzert übelster Gedanken, hässlicher Stimmen, die auf ihr Bewusstsein einhämmerten.

„Lucan“, flüsterte sie und bewegte lautlos die Lippen, um ihn zu warnen. „Lakaien im Haus - mehr als nur einer.“

Er nickte und winkte ihr zu, sich neben ihn zu stellen. An der Hauswand lief ein hölzernes Spalier hinauf, er packte es und prüfte seine Belastbarkeit. „Kannst du da hochklettern?“

Sie griff die behelfsmäßige Leiter und begann, sich daran hochzuziehen. Lucan wartete oben schon auf sie; alles, was er brauchte, um auf den Balkon im ersten Stock zu gelangen, war ein kräftiger Satz. Er landete geräuschlos aus seinem geschmeidigen Sprung und streckte die Hand aus, um ihr dabei zu helfen, sich vollends hochzuziehen.

Flügeltüren öffneten sich auf den gefliesten Balkon, die weißen Vorhänge bauschten sich gespenstisch. Drinnen konnte Elise eine Frau im Nachthemd erkennen, die bewegungslos auf dem Fußboden lag. Ihr Arm war ausgestreckt, das übel zugerichtete Handgelenk ruhte in einer Blutpfütze.

„Marek“, sagte Lucan leise, um das üble Gemetzel zu erklären. „Schaffst du es, da durchzugehen?“

Elise nickte. Sie folgte ihm durch den Schauplatz der Gewalt, vorbei an der Toten und deren Ehemann, der offenbar erfolglos versucht hatte, die todbringende Vampirattacke abzuwehren. In Elises Kehle stieg ein bitterer Geschmack hoch, als sie auf den Gang hinaustraten und dort die Leiche eines kleinen Jungen fanden.

Oh Gott.

Marek ist hier eingebrochen und hat die ganze Familie umgebracht!

Lucan führte sie an dem Kind vorbei, nahm sie am Handgelenk und hielt sie dicht hinter sich, als er mit einem schnellen Blick die Diele überprüfte. Sie spürte einen plötzlichen Ansturm von übersinnlichem Schmerz, hatte aber den Lakaien nicht kommen sehen, bis er direkt vor ihnen stand. Er war aus einem anderen Zimmer gekommen, gerade als sie an der Tür vorbeigehen wollten. Lucan brachte Mareks mental gesteuerten Sklaven zum Schweigen, bevor der Mann die Gelegenheit bekam, einen Warnruf loszuwerden. Der Lakai stammelte vor Schock ein paar unverständliche Wortfetzen, als ihm ein Dolch tief durch die Kehle schnitt, dann fiel er leblos zu Boden. Lucan war dabei nicht einen Moment lang stehen geblieben, er stieg über die Leiche und wartete, bis Elise dasselbe tat.

Als sie sich einem Treppenhaus näherten, das zum obersten Stockwerk des Gebäudes führte, brannten plötzlich Elises Venen in einem elektrischen Impuls auf. Sie konnte fast schon Tegans Herz spüren, wie es in ihrem eigenen Körper schlug, seine gequälten Atemzüge schnürten ihr die eigene Lunge ein.

„Lucan“, flüsterte sie und zeigte zu der offenen Tür. „Tegan.

Da oben.“

Er bewegte sich in den dunklen Treppenschacht und sah hinauf. „Bleib dicht hinter mir.“

Zusammen stiegen sie die steile, enge Treppe hinauf. Am oberen Ende befand sich eine verriegelte Tür. Lucan hob das Vorhängeschloss an. Er sah zu ihr zurück, und selbst in der Dunkelheit konnte sie seinen Gesichtsausdruck sehen, der sie warnte, sich für das zu wappnen, was sie auf der anderen Seite erwartete. Was auch immer es sein mochte.

Tegan war hinter dieser abgeschlossenen Tür, und er war am Leben. So viel wusste sie sicher, und das war auch alles, was sie jetzt wissen musste. „Tu’s, Lucan“, flüsterte sie.

Er stieß die Türe auf und raste hindurch wie ein Güterzug in voller Fahrt, zückte eine riesige Klinge und stieß sie dem Lakaien, der in Angriffshaltung auf sie zugestürmt kam, tief in den Körper. Elise unterdrückte einen Aufschrei, als ein weiterer Lakai sich dazugesellte und eine ähnliche Behandlung bekam. Er sackte schwer auf die hölzernen Planken des Fußbodens, um ihn herum breitete sich eine Blutpfütze aus.

Aber es war Tegans Anblick, der sie vor Kummer fast zum Aufheulen brachte. Mit Handschellen und Fußeisen an zwei schwere Holzbalken gekettet, hing sein Körper schlaff und schwer in seinen Fesseln. Sein schönes Gesicht war fast verborgen hinter seinem schweißnassen, blutüberströmten Haar, aber Elise konnte trotzdem sehen, was man ihm angetan hatte. Er war überall blutüberströmt und zerschlagen. Man hatte ihn erst vor Kurzem gefoltert, und sein Körper hatte noch nicht die Zeit gehabt, das zerstörte Gewebe und die gebrochenen Knochen wieder zu heilen.

Sie hielt ihn für bewusstlos, bis sich plötzlich eine sichtbare Anspannung über seine Muskeln ausbreitete. Er wusste, dass sie da war. Er konnte ihre Anwesenheit spüren, wie auch sie die seine immer und überall spüren würde.

„Tegan!“ Schon wollte sie zu ihm laufen, fuhr aber abrupt zurück, als er den Kopf hob und sie den rasiermesserscharfen Glanz der Wut in seinen Augen sah. „Oh Gott … Tegan.“

„Verschwinde!“ Seine Stimme war ein rohes, heiseres Flüstern. Die bernsteingelben Augen, die sie unter der zerschlagenen Stirn anstarrten, waren erfüllt von tierhafter, tobender Wut und Schmerz. Seine Fangzähne waren riesenhaft, tödlicher, als sie sie je gesehen hatte. Er riss an den Ketten, die ihn festhielten. „Verdammt noch mal! Verschwinde, sofort!“

„Tegan.“ Jetzt trat Lucan vor ihn hin, näherte sich ihm vorsichtig, aber ohne zu zögern. Er streckte die Hand nach einer der Fesseln aus, die um Tegans Handgelenke befestigt waren. „Wir holen dich hier raus.“

„Zurück!“, knurrte er.

Lucan schnüffelte in der Luft. „Was zum Teufel …?“ Er wischte mit dem Daumen unter Tegans Nase, wo sich eine blasse rosa Kruste angesammelt hatte. „Ach, zum Teufel noch mal, Tegan. Crimson?“

„Marek … Er hat mir eine Menge von dem Scheißzeug gegeben, Lucan …“, grunzte Tegan, während sich die geschlitzten Pupillen in den bernsteingelb glühenden Augen noch stärker zusammenzogen. „Kapierst du’s jetzt endlich? Es ist Blutgier. Ich bin schon zu weit.“

„Nein, bist du nicht“, sagte Elise zu ihm.

„Jesus“, zischte er durch seine riesigen Fangzähne. „Lasst mich - alle beide! Wenn du mir helfen willst, Lucan, dann bring sie zum Teufel noch mal hier raus. Bring sie weit weg von hier.“

Elise trat an ihn heran und strich ihm sanft über sein blutverklebtes Haar. „Ich gehe nirgendwohin, Tegan. Ich liebe dich.“

Während sie versuchte, Tegan zu beruhigen, riss Lucan mit einem mächtigen Ruck die Kette vom Pfosten los. Tegans Arm fiel herab, Metall klirrte. Als er nach der anderen greifen wollte, war es Tegan, der ihm eine Warnung zuknurrte.

„Lucan …“ Zu spät.

Der Schuss krachte scharf durch den dämmrigen Raum. In der Nähe der Treppe flammte eine orangefarbene Explosion auf.

Lucan wurde in den Rücken getroffen und fiel auf ein Knie.

Wieder krachte ein Schuss, aber das helle Einschlaggeräusch ließ erkennen, dass die Kugel ihr Ziel verfehlt hatte und auf Stein getroffen war.

Mehr Schüsse krachten, als zwei Lakaien und ein Rogue - Mareks Henker, alle mit halbautomatischen Waffen - in den Raum drängten und zu feuern begannen. Elise spürte, wie sich ein schweres Gewicht um sie schloss und sie in einen Schutzwall aus harten Muskeln zog. Tegans Atem zischte rau in ihrem Ohr, aber sein freier Arm war um sie gelegt, sein Körper über sie gebeugt, um sie vor dem Kugelregen zu schützen.

Sie fühlte sich hilflos, wie sie dabei zusah, wie Lucan mit drei Gegnern gleichzeitig kämpfte, während sie im schützenden Käfig von Tegans Körper kauerte. Lucan gelang es, einigen Maschinengewehrsalven auszuweichen, aber eine Menge der Geschosse trafen ihr Ziel. Der Gen-Eins-Krieger hielt dem Angriff stand und erwiderte das Feuer, während der Raum in einem raucherfüllten, ohrenbetäubenden Chaos versank. Der Rogue fiel im Kugelhagel, getroffen von Lucans Titangeschossen. Sein Körper zischte und zuckte auf dem Boden, der Tod holte ihn sich schnell.

Als einer der Lakaien näher herankam, den Blick unablässig auf Lucan gerichtet, der gerade dem Kugelhagel eines anderen auswich und ihm im Gegenzug selbst eine Salve verpasste, tastete Elise nach dem Griff ihres Dolches und zog ihn aus der Scheide. Sie wusste, dass sie ihn werfen musste und dass sie nur einen einzigen Versuch hatte.

Tegan knurrte warnend ihren Namen, als sie sich aus seinen Armen rollte. Sie kam auf die Füße, zielte schnell, dann holte sie aus und ließ die Klinge fliegen.

Der Lakai brüllte auf, als ihm der Dolch tief unter den Arm fuhr. Immer noch feuernd fiel er auf den Rücken und schickte einen Kugelhagel in die hohen Dachsparren hinauf. Einige von ihnen trafen die schwarze Decke, das Geräusch von splitterndem Glas bildete zu den Kampfgeräuschen, die von unten heraufdrangen, einen Unheil verkündenden Kontrapunkt.

„Oh Gott“, keuchte Elise, als geschwärzte Glasscherben von den zerbrochenen Oberlichtern herabregneten.

Die Decke war aus Glas, das erst vor Kurzem mit einem schwarzen Farbanstrich versehen worden war, um die Sonne abzublocken. Marek musste diese Vorsichtsmaßnahme getroffen haben, sobald er in diesem Haus sein Quartier aufgeschlagen hatte.

Jetzt, als wieder ein riesiges Stück Glas losbrach und zu Boden fiel, starrte Elise hinauf, in den Himmel über ihnen.

In den Himmel, der sich langsam im ersten frühen Licht der Morgendämmerung rötete.

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